Um ein Uhr morgens, sehr pünktlich, schlägt der Hahn seine Flügel auf den Boden und kräht ein erstes Mal. Spätestens um drei Uhr und immer öfter bis sechs Uhr morgens. Dann stehen der Tag und das Licht gemeinsam auf. Die Kühe muhen und wollen aus der Umzäunung ins Freie. Die Ziegen blöken, die Hunde bellen, die Schweine grunzen, die Perlhühner gurren. Die jüngeren Frauen beginnen damit, den Hof zu fegen, und die Haushaltsvorstände gehen eine erste Runde von Tür zu Tür und checken, ob Mensch und Tier wohlauf sind. Der Tag ist erwacht. Der Harmattan – die Dunstzeit – bringt im Dezember Wind, Wüstenstaub und -sand mit, der sich wie eine dünne Schicht auf alles niederlegt, in die Nase kriecht und die Augen reizt. So schlecht sind die Coronamasken nicht, sie schützen gegen Viren und Staub!
Aber keineswegs ist der Alltag im Gehöft idyllisch. Eher arbeitsreich und mühsam. Gute 150 Meter sind es bis zum Wasserbrunnen, und die jüngeren Frauen und Kinder pumpen täglich in großer Menge das kostbare Nass hoch und schleppen all benötigtes Wasser für den Tag zum Hof. Für das Kochen, den Abwasch, für das Wäsche waschen und auch für’s Baden. Im Backsteinhaus, in dem mein Zimmer liegt, gibt es sogar eine Dusche und eine Toilette. Aber das Wasser fließt nur, wenn der große Wassercontainer auf dem Dach befüllt wird. Ist er leer: Kein Wasser! Um ab und an meine langen Haare zu waschen, musste ich um ein wenig heißes Wasser bitten, es mit kaltem in einem Eimer mischen und dann mit einer Kalebasse duschen. Klappte prima und war ein Genuss. Es ist eine grandiose Entwicklung, dass es seit längerem einen Brunnen und sauberes Trinkwasser gibt. Es ist nicht so lange her, da musste das Wasser aus einem Bach geholt werden, weit entfernt und natürlich nicht besonders sauber. Vor 32 Jahren hätte ich das Wasser noch nicht einmal zum Zähne putzen nutzen können. Und ich erinnere mich, dass ich damals nur unfermentiertes Hirsebier ohne Sorge getrunken habe, weil es ja stundenlang gekocht wird. Da kann keine Bakterie überleben.
Die jüngeren Kinder gehen heutzutage alle in die Schule, die im nächsten Dorf, Chebogo, rund anderthalb Kilometer entfernt ist. Die Schule wirkt recht desolat, fast verwahrlost. Dennoch ist es ein Fortschritt, dass nunmehr alle Kinder die Chance bekommen, die Schule zu besuchen. Dies war 1989 und noch bis vor zehn Jahren keine Selbstverständlichkeit. Von der Generation meines Adoptivbruders Titus gibt es einige Verwandte, die nicht lesen und schreiben können, nur wenig bis gar kein Englisch sprechen. Selbst einige seiner Neffen und Nichten wurden erst mit acht oder neun Jahren in die Schule geschickt. So erzählte es mir auch Vitalis, der heute 25 Jahre alt ist. Er schilderte, wie er als Kind das Vieh gehütet und auf den Feldern mitgearbeitet hat, bis er dann doch in die Schule gehen durfte. Hätte Titus Vitalis Vate nicht überredet, hätte wahrscheinlich auch dieser niemals eine Schule besucht. Heute studiert Vitalis in Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas, an einer Fachhochschule Ökonomie im zweiten Semester. In dem Interivew mit ihm wurde sehr deutlich: Es ist sehr schwierig und es erfordert viel Disziplin und Mut sowie neben den Eltern auch Verwandte, die die Schulbildung fördern und ganz oder teilweise finanzieren. Bis zu einem Studium an einer Universität oder Fachhochschule ist es für junge Menschen in Upperwestghana ein steiniger Weg.
Bis es dunkel wird, gibt es kaum eine Zeit, in der hier im Hof nicht gearbeitet wird. Die Frauen sind damit beschäftigt, Strohmatten oder -körbe herzustellen, zur Mühle zu laufen, um Mais, Hirse oder Sheanüsse mahlen zu lassen, zu kochen, zu waschen … Sehr aufwändig ist die Herstellung der Sheabutter, die gut drei Tage andauert. Nicht minder langwierig ist das Brauen von Hirsebier, Pitó genannt. Beide Beschäftigungen bringen den Frauen ein geringes eigenes Einkommen, auch wenn es keine Unsummen sind. Eher könnte man sagen, der Aufwand lohnt kaum. Eine kleine Kugel Sheabutter kostet 20 Pesewa, das sind nicht einmal drei Cent. Eine ganze Schüssel bringt kaum mehr als 50 Ghanacedis, das sind weniger als 10,- Euro, ein zu geringer Lohn für die viele und sehr anstrengende Arbeit. Später, nach Sichtung meines Materials, werde ich ein Video einstellen, das zeigen wird, WIEVIEL Arbeit die Herstellung von Sheabutter macht. Wenn Marktag ist in Fielmong und im Rhythmus von fünf Tagen backen die Frauen Cosí. Es sind frittierte Bällchen aus Bohnenmehl, wirklich köstilich. Auch dies bringt den Frauen ein wenig Cash.
Erst wenn um sechs Uhr abends, die Sonne quasi in einem Rutsch abtaucht am Horizont, kehrt Ruhe ein, trappeln die Kühe wieder in ihren Stall, die Ziegen werden zusammengetrieben. Die Schweine legen sich in die Pfützen, wo immer das Duschwasser sich sammelt und das Abwaschwasser hingeschüttet wird. So hat jeder sein Plätzchen für die Nacht. Im Dunkeln bereiten die Frauen das Abendessen vor: Meist gibt es T-Zet, aus Mais- oder Hirsemehl zubereitet. Es sieht ein wenig gräulich aus, hat eine feste Konsistenz und wird mit unterschiedlichen Saucen gegessen. Morgens wird Cocobrei getrunken, es ist ebenfalls aus Hirse oder Mais und, flüssig und warm. Die Kost ist nicht besonders abwechslungsreich … Die Männer werden immer bedient, die Frauen arbeiten weiter, bis sie ins Bett gehen. Wenn noch Nachbarn kommen oder sich die Männer der Familie auf schmalen Bänken zusammensetzen, wird noch geschnackt, diskutiert oder der nächste Tag bzw. aktuell die bevorstehende große Beerdigung besprochen. Es scheint eine endlose Liste von Dingen zu geben, die noch zu erledigen sind. Wenn der Strom nicht ausgefallen ist, taucht das Licht einer hohen Laterne den ganzen Hof aus. Die Kinder toben noch herum, spielen fangen oder verjagen die Ziegen. Der kleine Welpe ist überall auf der Suche nach Spielkameraden und rennt den Kindern hinterher. Aus dem Dunkeln heraus, ist noch Stampfen zu hören, eines der Mädchen bereitet zu dieser späten Stunde Essen vor. An der Kochstelle glühen noch die Kohlen. Geht man ein Stück raus, strahlen die Sterne hell. Noch grunzt eins der kleinen Schweinchen, dann wird es still. Ich könnte stundenlang so verharren und zusehen, einfach beobachten, nicht mehr und nicht weniger. Das ist völlig ausreichend.