Über Fußmärsche, einen Markttag und noch viel mehr
Ich laufe zum Markt am frühen Nachmittag, als mich plötzlich eine Harmatan-Windboe erfasst: Viel Staub! Ich war der Staub! Ein wenig gruselig, diese Windhose. Ich war schon zu Fuß vom Gehöft aus gute drei Kilometer unterwegs, als mich Baba und Vitalis, zwei Neffen von Titus, mich auf einem Moped überholen und mich erkennen im Vorbeifahren – kein Wunder. Denn ich bin die einzige Weiße hier weit und breit. Zu dritt fahren wir dicht an dicht gedrängt auf der kurzen Sitzbank die letzten drei Kilometer bis Fielmon. Das ist eine Wohltat, den Fahrwind zu spüren.
Dichtes Gedränge auf dem Markt in Fielmon, der alle fünf Tage stattfindet. Für mich löst es nach vier Tagen, an denen ich nur mit wenigen Menschen auf dem Gehöft zusammen war, fast nur Interviews geführt und fotografiert oder gefilmt habe, fast ein Stadtfeeling aus – so viele Menschen! Es sind merklich mehr Einheimische aus Burkina Faso in Fielmon, da die Grenze nur ein Katzensprung entfernt ist. Merklich sind mehr Verkäuferinnen und Verkäufer und die Kundschaft muslimisch. Auch in Fielmon gibt es jetzt Moscheen. Vor 30 Jahren noch keine einzige. Viele Frauen tragen ein Kopftuch und lange Kleider. In Ghana bekennen sich rund 18 Prozent zum Islam, zwischen 60 und 70 Prozent zum Christentum (aber es gibt unzählige afrikanische Kirchen), und etwas 22 Prozent der Menschen glauben an traditionelle Religionen (laut Wikipedia).
Kaum jemand trägt eine Maske. Selbst ich habe zuerst ganz vergessen eine aufzusetzen. Kein Wunder: Seitdem ich in Ghana bin, höre ich weder Radio, lese Twitter oder schaue Nachrichten. Corona ist weit weggerückt – irgendwo in Berlin geblieben. Wurde nicht eingepackt!
Wie die Lage der Pandemie in Ghana ist, konnte ich zu keinem Zeitpunkt der drei Wochen im Land einzuschätzen. Ich kann ja weder Radio hören, noch im Internet recherchieren, und keiner hier in meinem Umfeld weiß es so genau. Es sind nur Titus, seine Frau Irene und sein Sohn Ransford, die hier OP-Masken anhaben, wenn sie das Gehöft verlassen. Ransford meinte, Afrika und damit auch Ghana hätten Ebola erlebt und überwunden, Corona sei keine größere Sache. Die Ebolafieberpandemie bracht 2014 in mehreren westafrikanischen Ländern und war erst Anfang 2016 überwunden. Westafrikanische Bevölkerungen hätten sich schnell auf die Pandemie eingestellt beim ersten Lockdown. In Ghana wird übrigens mit einen chinesischen Impfstoff geimpft. Ransford berichtet von einem Lehrer seiner Schule, der für eine Anstellung nach China gegangen ist. Er müsse zwei Wochen in Quarantäne bleiben und im Grunde sei diese Zeit wie ein Gefängnisaufenthalt. Er dürfe einfach nicht raus und bekäme sein Essen durch einen Schlitz serviert … Irgendwo in China. Ransford sagt etwas sehr Wahres: Wenn Du leidest, dann profitiert am andere Ende immer jemand von Deinem Leid. So wäre es auch mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie, es gebe sicherlich Leute, die gar kein Interesse an einem Ende der Pandemie hätten, weil sie eben daran ziemlich gut verdienen würden. Es war tatsächlich das erste und letzte Mal, das ich im Gehöft über Corona geredet habe.
Zurück zum Markttrubel, wo ich Ernestina und ihre Schwester Eunice und die Schwägerin im Schatten sitzend treffe. Sie mümmeln Cosí, frittierte Küchlein aus Bohnenmehl. Extrem lecker und knusprig. Eine große Schüssel kostet nur fünf Ghanacedis, noch nicht einmal einen Euro, und davon werden gut vier Menschen fast satt.
Auf dem Markt wird so ziemlich alles angeboten, was der Mensch für den täglichen Bedarf braucht, sogar Werkzeuge für die Landwirtschaft oder die Radreparatur, Töpfe und Plastikgeschirr bergeweise. Es gibt Strom und sogar Internet, es parken überall Motorräder, Tricycles, die als Taxen oder Minilaster genutzt werden und Fahrräder am Rand. Viele Frauen verkaufen eisgekühltes Wasser, Ingwergetränke oder Softdrinks. Auch wenn der Markt chaotisch aussieht, hat alles seine Ordnung: In einer Reihe nur Getreide – vor allem Reis, Mais und Hirse – und viele, viele Erdnüsse. Im nächsten Gang Zwiebeln ohne Ende. Hier und dort Blattgemüse und dort Orangen, Ananas und vielleicht Avocados, Mangos (ist im Dezember aber keine Saison). Dann folgen wir den Gerüchen von Gewürzen, um dann einzubiegen in die Straße der Bohnen in jeder Form und Farbe. Paradies für mich parallel dazu: viele Tomaten. Dann finden wir die Stände mit Nudeln, Öl, Seife und Stoffe sowie neuer und gebrauchter Kleidung. Überall hängen viele, viele Taschen mit recht lustigen Aufdrucken und drehen sich im Wind. Kurzum: ein Kaufparadies für alles von A bis Z.
Im Vergleich zu 1989 ist der Markt irre expandiert. Ich kann mich an die wenigen Stände erinnern, die nur schmale Streifen an Schatten boten und ebenso “schmale” Ware anpriesen. Das Meiste lag auf Plastikplanen zum Verkauf aus. Ich weiß noch genau, wie verwundert ich war, dass es selbst Tomaten nur spärlich zu kaufen gab, Zwiebeln lagen in armseligen Häufchen da. Milchpulver zu finden oder Nescafé war eine Sensation. Das musste ich meistens auf dem Sonntagsmarkt in Nandom kaufen, wo sonntags immer großer Markttag war. Dort deckte ich mich mit Haferflocken und Zigaretten ein (damals war ich noch starke Raucherin!). Umso größer war meine Verwunderung eines Tages, dass an einem Stand blitzeblanke, neue Aldi-Tüten zu kaufen gab, in die ich mir Käse, dunkles Brot, Schokolade und Wein hineinfantasierte .
Sicherlich hatten diese Tüten ihren Weg nach Upperwestghana mit einem der vielen jungen Ghanaer in einem möglichst günstig erstandenen Transporter gefunden. Diesen hatte er wahrscheinlich nach Jahren – vielleicht illegalen Aufenthalts – in Deutschland kaufen können. Viele dieser jungen Männer wurden und werden in Ghana “Burgers” genannt, weil sie meistens in Hamburg lebten und leben, im Hafen oder auf Baustellen arbeiten, um sich dann ein großes gebrauchte Auto leisten zu können, es dann zu beladen mit Plastiktüten oder anderen langlebigen Gütern und alles als Riesenpaket nach Ghana zu verschiffen oder die lange Strecke bis Ghana und durch die Wüste selbst zu überwinden. Die meisten Trottos (Großraumtaxen), die in Ghana rumfahren, kommen aus Europa. Viele aus Deutschland, Holland und England.
Mein Einkauf schließlich passte gut in einen Rucksack: Fünf Plastikpötte lokale, ujdnköstliche Erdnussbutter für 15 Cedis. ein paar Tomaten für rund zwei Cedis. Mehr nicht. Die anderen hatten eingekauft eine Schlafmatte, viel Blattgemüse und auch Tomaten. Wir machten uns langsam auf den Rückweg, um die gut sechs Kilometer Fußmarsch noch vor Sonnenuntergang zu überwinden. In einer eher spontan aufgestellten “Kneipe” lade ich meine drei Weggefährtinnen ein, mit mir etwas Kühles zu trinken: Bier und Maltaguiness. Das schmeckt hier im staubigen Norden noch viel besser als in Accra oder in Berlin.
Wir sitzen kaum, gesellt sich eine ältere Dame in schönem Kleid zu uns und startet sofort eine Konversation mit Eunice neben ihr. Wo ich denn herkäme, fragt sie auf Dagara. “Diese Weiße da.” Eunice erklärt ihr, ich sei Kuuyuors Tochter, die für die Beerdigung extra angereist sei aus Deutschland. “Ach so, eine weiße Tochter,” staunt die Frau, steht auf und stellt sich vor mich: “Dann bist Du meine Nichte, denn ich bin eine Verwandte von Pigr.” Da staune ich nicht schlecht, warum ich eine Nichte habe, die deutlich älter ist als ich … Wir vier lachen viel auf dem Nachhauseweg und sind uns sicher, dass alle im Dorf und darüber hinaus bald wissen, dass Kuuyuour eine weiße Tochter hat. Meine Kneipenrechnung für zwei große Bier (es gibt fast nur 1 Liter Flaschen in Ghana) und zwei Maltaguiness sind nur 20 Cedis, rund 3,33 Euro. Ich finde es billig, aber für Einheimische sicherlich teuer.
Denn ein monatliches Durchschnittseinkommen liegt bei rund 330 Euro (Quelle), aber es gibt auch Angaben, die besagen, dass es nur 2.049 Euro Jahreseinkommen sind, also im Monat leidglich 270 Euro, (Quelle). Oder aber Zahlen wie diese: Ein Lehrer verdient nur 100 Euro pro Monat, ein Arzt (Einstiegsgehalt) um die 670 Euro monatlich, und die Miete für eine Zwei-Zimmer-Wohnung z.B. außerhalb von Stadtkernen zwischen 50 und 80 Euro, aber im Stadtkern 662 Euro, so eine von vielen Quellen, u.a. der Blog einer Studentin aus Deutschland, die in Accra Praktikum gemacht hat (hier)! Das Hauptproblem bei den Mieten ist: Sie müssen ein bis zwei Jahre im Voraus bezahlt werden. Für viele kaum zu schaffen. Kurzum: Es ist nicht leicht, die Balance zu finden zwischen Einnahmen und Ausgaben in einem Land wie Ghana.
Auf dem Nachhauseweg kommen wir an großen Postern vorbei, die an der Straße vor dem Gehöft des Chiefs von Fielmon die Beerdigung einer Frau und eines Mannes ankündigen. Die vielen Räder, Mopeds und Autos zeugen davon, dass die Beerdigung groß ist und viele Trauergäste gekommen sind. Eunice erklärt Ernestina und mir, dass respektable Personen gestorben sein müssten, so viele Trauergäste. Sie vermutet zudem, dass die Beerdigungsfeierlichkeiten von ihrer Großmutter Pigr ähnlich groß werden würde. Sie sei sehr alt geworden (angeblich 107 Jahre). “Wir dürfen zwar trauern und traurig sein, weinen und klagen, aber wir müssen das Leben auch feiern”, meint sie, “singen und tanzen.”. Ich selbst gehe langsam aber sicher davon aus, dass auf die dreitägige Beerdigung an die 500 Menschen kommen werden.
Wir laufen langsam die 6 km wieder nach Hause. Es ist ein wunderbarer Sonnenuntergang. Stille. Wir lachen und tratschen zu viert sehr viel. Ernestina jammert, dass sie viel zu viel laufen muss.
Jetzt noch ein paar Impressionen von meinem Markttag und von Fielmon